Ein Blick in die Kunstgeschichte:
Kurz nach dem diese Website ans Netz ging, bekam ich eine Mail von einer Schülergruppe, die mich bat, ihnen etwas zum Thema Fotorealismus als Epoche in der Kunstgeschichte aber auch zu meiner eigenen Intension zu schreiben. Das brachte mich auf die Idee, diesem Thema eine eigene Seite zu widmen und dabei auch mein eigenes Anliegen zum einen näher zu bringen zum anderen aber auch abzugrenzen.
Der Realismus:
Geprägt wurde der Begriff "Realismus" durch Gustave Courbet (1819 - 1877). Als er bei der Pariser Ausstellung im Jahre 1855 ausjuriert wurde, organisierte er aus Protest eine Gegenausstellung in einem Holzschuppen mit der Überschrift "Pavillion du Réalisme". Es ist für die Betrachter der damaligen Zeit schwer glauben gewesen, daß es ihm in seinen Bildern allein darum ging, rein sachlich nur die äußere, sichtbare Oberfläche darzustellen, denn seine Bilder provozierten, weil sie die Natur, die Menschen und die Tiere in einer bis dahin ungewohnten realen Häßlichkeit und Derbheit zeigten und somit auch zwangsweise eine Kritik an den allgemeinen Lebensumständen mit sich brachten.
Ähnlich wie Courbet ging es Adolph von Menzel, als er nicht nur die Glitzerwelt der Kronleuchter, der prunkvollen Gewänder und Uniformen, sondern auch die Welt der Fabrikarbeiter malte, die bislang nicht für bildwürdig gehalten worden war.
Ein weiterer Name, der im Zusammenhang mit dem Realismus nicht unerwähnt bleiben sollte, ist Wilhelm Leibl (1844 - 1900). Dieser Künstler wird von Max Liebermann sinngemäß mit den Worten zitiert, 'Wenn ich die Natur male, so male ich die Seele mit'. Sein berühmtes Bild von den drei Frauen in der Kirche konnte er nach vier Jahren nur mit Mühen fertigstellen, weil man ihm das Malen in der Kirche untersagt hatte.
Auch wenn man im Zusammenhang mit dem Realismus von der Darstellung der "äußeren und inneren Wahrheit" spricht, sollte man sehr vorsichtig sein, die Kritik an den allgemeinen Lebensumständen als Anliegen der Maler im Realismus zu interpretieren. Die Maler dieser Epoche haben sich ihnen lediglich nicht mehr verschlossen, wie es zuvor meist üblich gewesen war. In dieser mehr oder weniger gewollt provozierenden Darstellung von Realität wird aber deutlich, wie sehr sich der Realismus von einem reinen Naturalismus oder auch dem späteren amerikanischen Fotorealismus unterscheidet.
Inzwischen bezeichnet man eigentlich fälschlicherweise eine ganze Malweise gerne als Realismus oder als realistisch, womit sich der Begriff Realismus im Sprachgebrauch immer weiter verwässert hat und meist mit einer naturalistischen oder auch einer fotorealistischen Darstellung gleichgesetzt wird.
Der amerikanische Fotorealismus:
Wichtig: Vorab an dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf den etwas verwirrenden doppelten Sprachgebrauch des Begriffes Fotorealismus: Der Begriff wird nicht nur als Bezeichnung für eine Stilrichtung in der Malerei sondern auch im Bereich der Fotografie verwendet. Dort bezeichnet man eine Stilrichtung der künstlerischen Fotografie als Fotorealismus. Beide Formen des Sprachgebrauchs sind völlig korrekt, doch soll das Wort Fotorealismus hier nur im Zusammenhang mit seiner Bedeutung in der Malerei verwendet werden!
Richtungsweisend für die Begriffsdefinition ist der amerikanische Fotorealismus, der sich ausgehend von den 50er Jahren insbesondere in den 60er - parallel zur Pop Art - und 70er Jahren entwickelt hat und zunächst - wie eigentlich fast jede neue Entwicklung in der Kunstgeschichte (man denke hier beispielsweise an die Romantik, den Impressionismus oder wie oben genannt den Realismus) - wenig Anerkennung und Beachtung fand. Er hat das Wort "Fotorealismus" allerdings überhaupt erst geprägt. Die amerikanischen Fotorealisten fotografierten unter Umständen auch selbst, benutzten mechanische oder halbmechanische Hilfsmittel zur Übertragung und hatten das Ziel, daß die Arbeit fotografisch erscheinen mußte. Ein echter Fotorealist mußte bis spätestens 1972 ausgestellt haben und sich mindestens 5 Jahre der Entwicklung und Ausstellung fotorealistischer Arbeiten gewidmet haben, um als ein solcher anerkannt zu werden. (Quelle: "Fotorealismus" von Louis K. Meisel).
Der besondere Unterschied zu einer Malweise, die sich an einem realen Modell orientiert, ist der Schwerpunkt auf die Ausarbeitung der fotografischen Details, also die Anstrengung, möglichst auf jede subjektive Objektgeneralisierung zu verzichten. Im Grunde geht es nicht nur darum, ob ein bestimmter Gegenstand gemalt wird, sondern darum, geradezu abstrakt nach Planquadraten eine Farbigkeit und ein Grauwertmuster auf die Leinwand zu übertragen, das erst in seiner Gesamtheit den Eindruck des Fotos wiedergibt. Ein vermeintlich wichtiger Gegenstand in der Bildmitte wird gleichbedeutend dargestellt wie ein belangloser Gegenstand am Rand oder gar eine undefinierbare Helligkeit im Hintergrund.
Auffällig ist übrigens, daß sich jeder Künstler dennoch meist einem ganz bestimmten Thema gewidmet hat (z.B. Motorräder oder Schaufenster oder Blechspielzeug usw.). Wichtige Namen amerikanischer Fotorealisten (50er - 70er Jahre) sind u.a. Flack, Bechtle, Close, Estes, Kleemann, McLean, Bell, Goings, Chen.
Resümee...
Nicht selten hört man die Kritik, daß eine (diesmal in einem weiten Sinne gefaßt) realistische Darstellung in der Kunst spätestens seit der Erfindung der Fotografie überflüssig ist. Das mag zunächst einen gewissen Tropfen Wahrheit haben, denn das gemalte oder gezeichnete Bild hat heute sicherlich die Aufgabe des reinen Abbildens der Realität verloren. Früher mußte sich ein Fürst malen lassen, wenn sein Porträt im Schloß prangen sollte, weil es gar keine andere Möglichkeit für ihn gab, heute würde ein Foto theoretisch das gleiche bewirken.
Bis in die 80er Jahre gab es zudem den Beruf des Retuschierers, der eigentlich auch nichts anderes machte, als fotorealistisch zu malen oder zu zeichnen, um neu entwickelte Produkte darzustellen, weil es noch keine Computerprogramme gab; oder der schwarz/weiß-Bilder für Zeitschriften colorierte, weil die Farbfotografie noch zu teuer und aufwendig war. Und bei einem Lehrberuf kann man sicherlich erst recht fragen, was er mit "Kunst" zu hat; auch wenn man nicht vergessen sollte, daß Handwerk und Kunst ursprünglich einmal ein und dasselbe gewesen sind.
Last not least: An der Frage, ob man beim Malen anstelle eines realen Modells ein Foto als Arbeitsgrundlage verwenden darf oder nicht, haben sich schon zu Zeiten vor dem amerikanischen Fotorealismus ganze Künstlergruppen zerstritten, ohne, daß es hierauf jemals wirklich eine Antwort gegeben hat. Letztlich ist eine Wertung der Arbeitsmittel auch belanglos, denn das Werkzeug allein ist ebensowenig ein Garant für eine gute Arbeit wie die Schwierigkeit der gewählten Technik ein Garant für eine gute Kritik ist. Es kommt einzig und allein darauf an, was am Ende dabei herauskommt.
...und vielleicht zum Schluß noch eine Abgrenzung:
Nun ja, man mag von der Idee ein Foto zu kopieren oder etwas darzustellen, was ein Fotoapparat in einem Bruchteil der Zeit schaffen könnte, halten was man will. Für mich selbst muß ich allerdings sagen, daß ich Kritiken dieser Art nicht ganz gelten lasse, weil ich aus einer ganz anderen Idee heraus arbeite. Ziel für mich ist, zumindest, was die Darstellung von Claudia auf meinen Zeichnungen betrifft, sie so darzustellen, daß der Betrachter im ersten Moment meint, es wäre ein Foto einer realen Frau oder nach einem solchen gezeichnet. In Wirklichkeit gibt es diese Frau aber gar nicht. Der Bildinhalt ist rein aus meiner inneren Vorstellung heraus entstanden. Ich manipuliere die Realität, in dem ich sie um Dinge ergänze, die es nicht gibt (deswegen imaginärer Fotorealismus). Dabei lasse ich mich ganz frei von meinen inneren Gefühlen leiten, auch wenn das Endprodukt so glaubhaft wie möglich werden soll. Das reine Darstellen der vorhandenen, allgegenwärtigen Realität in Form eines Naturalismus spielt für mich eine untergeordnete Rolle, ich empfinde dies sogar eher als Einengung, wenn gleich ich mich vor der Realität auch nicht verschließen möchte. Letztlich finde ich mich aber auch weder ganz im Gedankengut der Fotorealisten noch dem der Realisten wieder. Mein Ziel ist es, ein möglichst fotografisch richtiges Bild einer Komponente meiner Seele zu erzeugen, das sich allerdings weder der äußeren noch der inneren Realität verschließt...
(Die letzte Aktualisierung dieser Seite erfolgte am 25.01.2015 um 00:01 Uhr!)